FÜNF FRAGEN AN DIE REGISSEURIN BETTINA KAMINSKI

FÜNF FRAGEN AN DIE REGISSEURIN BETTINA KAMINSKI

Wie kamst du zu der Verbindung der beiden Texte Das Ende von Eddy und Wer hat meinen Vater umgebracht in einer Inszenierung?
Das Lesen der Romane von Édouard Louis hat mich tief beeindruckt. Wer hat meinen Vater umgebracht mit Das Ende von Eddy zu verbinden finde ich deshalb so wichtig, weil es dieselbe Erzählung ist, die in Wer hat meinen Vater umgebracht in einen ökonomischen Kontext gesetzt wird. Das Ende von Eddy ist eine subjektive Erzählung, alles andere steht vielleicht zwischen den Zeilen. Sie positioniert sich nicht. In Wer hat meinen Vater umgebracht war für mich erst einmal diese Wut beeindruckend, diese Wut auf bestehende gesellschaftliche und politische Verhältnisse. Diese Texte miteinander zu verschränken, heißt, die Verhältnisse nicht anzusehen als etwas, das vom Himmel fällt. Es gibt Verantwortliche, die sogar benannt werden können. Diese Umleitung, diese Kanalisierung von Wut ist mir wichtig.

Wie hast du das Stück besetzt und warum?
Ich habe nach Schauspielern gesucht – mir war von Anfang an klar, dass ich Männer besetzen will –, die sehr körperlich sind und eine gewisse Sensibilität mitbringen, eine auf mich ausstrahlende Offenheit für alle Geschlechter. Hauptsächlich ging es mir aber um die Fähigkeit und Lust, sich in eine sehr körperliche Probenarbeit zu stürzen, eine Geschichte körperlich erlebbar zu machen. Ich fand es interessant, zwei Männer unterschiedlichen Alters zu besetzen, weil Vorgänge – in Bezug auf Wer hat meinen Vater umgebracht spreche ich vor allem von Arbeit – sich im Lauf der Zeit mehr und mehr auf dem Körper abzeichnen. Die beiden Schauspieler in dieser Produktion haben natürlich nicht lebenslang in einer Fabrik gearbeitet. Aber Körper sehen unterschiedlich aus mit vierunddreißig und mit achtundsechzig Jahren. Das heißt, ich habe auf der Bühne zwei Männer unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen, die sie einbringen können, um einen größeren Raum zu eröffnen, in und mit dem gespielt wird. Eine direkte Identifikation der Schauspieler mit Rollen vermeide ich in dieser Inszenierung.

Zusätzlich zu den beiden Schauspielern spielt auf der Bühne ein Live-Musiker Schlagzeug. Was trägt er zur Inszenierung bei?
Es handelt sich bei dieser Inszenierung um ein Stück ohne dialogische Szenen, es gibt nur eine Person, einen Erzähler, dargestellt durch zwei Körper. Ich wollte einerseits, dass diese Erzählung lebendig bleibt, und andererseits suchte ich nach Möglichkeiten, den Kosmos des Vaters spürbar zu machen, von dem erzählt wird, der aber selbst nicht erzählt. Dieses Vaters, der in der Fabrik arbeitete. Ich bin in meinem Kopf verschiedene Instrumente durchgegangen und kam auf das Schlagzeug, das man ja auch als Batterie bezeichnet, was für mich für das Maschinelle steht. Das Ineinandergreifen von Mensch und Maschine. Schlagzeug hat etwas mit Arbeit zu tun, sichtbarer, schweißtreibender Arbeit.
Gleichzeitig hat das Schlagzeug die Möglichkeit, die Geschichte unaufhaltsam voranzutreiben, wie ein Motor. Es gibt eine Getriebenheit, zu erzählen.

Was ist für dich – gar nicht nur auf dieses Stück bezogen – das Politische an der Arbeit, die du machst?
Ich versuche mich in allem, was ich tue, sei es als Schauspielerin oder als Regisseurin, mit Menschen zu beschäftigen, mit einzelnen innerhalb oder außerhalb der Gesellschaft. Das halte ich für politisch. Sie nicht an gängige Klischees und Erklärungsmuster auszuliefern, sondern sie ernst zu nehmen in dem, was sie sind, was sie tun, was sie bestimmt, wovon sie träumen. Genau hinzusehen. Genau zu untersuchen. Womit ich mich mit Das Ende von Eddy und Wer hat meinen Vater umgebracht beschäftige, ist auch die “soziale Frage“. Die Texte spielen in einem reichen Land Mitteleuropas – das könnte ebenso gut Deutschland oder England sein – und der Staat und die Gesellschaft ziehen sich mehr und mehr aus ihrer sozialen Verantwortung heraus. Der Sozialstaat wird abgebaut, das Narrativ sukzessive verändert: Es ist nicht mehr die Solidargemeinschaft, die Schwächere, Kranke, Arbeitslose u.a. unterstützt und Verantwortung übernimmt. Sondern einzelne sind selbst schuld, keine Arbeit zu finden, krank zu werden etc. „Da muss er sich halt mehr anstrengen, sich optimieren und nicht auf der sozialen Hängematte ausruhen”. Und das ist ein Skandal. Da dürfen wir nicht wegschauen. Wir müssten, mit Édouard Louis gesagt, doch eigentlich schreien.

Bei dieser Inszenierung Das Ende von Eddy / Wer hat meinen Vater umgebracht, wen wünschst du dir im Publikum?
Grundsätzlich wünsche ich mir alle im Publikum. Natürlich wünsche ich mir oft und vor allem gerade die Menschen im Publikum, die dann nicht ins Theater gehen. Die ich immer wieder zu erreichen versuche. Für diese Inszenierung wünsche ich mir Menschen im Publikum, die sich durch das, was sie sehen, in ihrem Handeln beflügeln lassen.