Zur Schließung der Theater

Aufgrund der Verlängerung der Beschlüsse, die die Bundeskanzlerin zusammen mit den Ministerpräsident:innen der Länder in ihrer Videokonferenz am 25. November beschlossen haben, sind wir angehalten bis zum 20. Dezember alle Vorstellungen abzusagen.
Wir bedauern das sehr.

 

05. November 2020

Offener Brief von 22 Mitgliedern der THEATERALLIANZ

Wir protestieren entschieden gegen die bundesweite Schließung von Kultureinrichtungen wie Theater- und Konzerthäuser, Museen und Ausstellungshallen bis Ende November.
Natürlich ist das drastische Ansteigen der Corona-Infektionen besorgniserregend. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um die neuerliche Ausbreitung des Virus einzudämmen. Aber diese Maßnahmen müssen ausgewogen und wissenschaftlich begründet sein. Sie dürfen nicht pauschalisieren. Die undifferenzierte Entscheidung, alle Kultureinrichtungen zu schließen, trifft erneut einen Lebensnerv unserer Gesellschaft.

Alle Politiker:innen, die verantwortungsbewusst Zukunft gestalten, wissen, wie wichtig Kultur für das soziale und politische Klima sowie die Entwicklung einer Stadt oder eines Landes ist. – Kultur stiftet Identität, schafft Zusammenhalt, Verständigung über die gemeinsamen Werte, gibt Kraft und Selbstvertrauen. Sie steigert das Denkvermögen, sensibilisiert die Sinne, entgrenzt unsere Phantasie, macht Leben reich und vielfältig. Aber sie ist auch ein unbequemes Spiegelbild unserer Wirklichkeit, legt Konflikte, Widersprüche und Schadstellen bloß, provoziert Fragen und Veränderungen. Das heißt: Sie ist für eine Gesellschaft lebens-, sie ist existenzrelevant.

Umso unverständlicher ist es, dass die Politik – gerade in diesen Zeiten Pandemie be-dingter allgemeiner Verunsicherung und Vereinzelung – schon zum zweiten Mal bundesweit alle Kultureinrichtungen wochen-, vielleicht sogar monatelang schließt.

Es mag Kultureinrichtungen geben, wo es nicht möglich ist, die Besucher durch ein gut durchdachtes Hygienekonzept hinreichend vor einer Infektion zu schützen. Die Theater- und Konzerthäuser zählen – von Sonderfällen abgesehen – sicher nicht dazu. Sie haben ihre Gebäude – teilweise finanziert durch Land und Bund – zusätzlich so ausgestattet, dass Infektionen vermieden werden. Es gibt zumeist eine ausreichende Frischluftzufuhr. Publikum im Zuschauerraum und Künstler:innen auf der Bühne bleiben voneinander getrennt. Die Zuschauer:innen gehen auf vorgezeichneten Wegen – Begegnungen und Querungen vermeidend – mit Maske auf ihren Platz und sitzen 1,50m voneinander entfernt. Die Theater- und Konzertzuschauer:innen sind maximal diszipliniert, halten sich an Vorschriften und haben in der letzten Woche – entsprechend der Verord-nung – die Maske während der ganzen Veranstaltung aufbehalten. Sie nehmen viel in Kauf, um endlich wieder Theater oder Konzerte live zu erleben: die unmittelbare, lebendige Kommunikation zwischen Künstler:innen und Publikum.

Wir fordern daher
– dass die Theater- und Konzerthäuser mit den entsprechenden Hygienemaßnahmen wieder geöffnet werden, auch wenn wegen der Abstandsregeln nur ein Viertel bis ein Fünftel der Plätze besetzt werden kann,
– dass die entsprechenden Mindereinnahmen durch einen Veranstaltungssonderzuschuss kompensiert werden,
– dass solo-selbstständige freie Kulturschaffende, die wegen des eingeschränkten Kul-turangebots keine Arbeit finden, bis Ende 2021 ein Grundeinkommen von mindestens € 1.500 unbürokratisch bewilligt bekommen.

Wir fordern eine Debatte über den gesellschaftspolitischen Stellenwert von Kunst und Kultur mit dem Ziel, in den kommenden Jahren Einsparungen bei der Subventionierung von kulturellen Einrichtungen und Aktivitäten zu verhindern.